TeMel

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Die wunderbare TeMeL hat sich viel Zeit genommen, um mit uns über ihre Lesevorlieben, ihre Werke und die Comicszene zu quatschen.

Was liest du gerade? Was hast du zuletzt gelesen?

Momentan lese ich Batgirl, die neuen Abenteuer, von Cameron Stewart und Brenden Fletcher. Davor habe ich „Nenn mich Kai“ von Sarah Barczyk gelesen. Das ist diese kleine Graphic Novel, die das Comic Stipendium 2015 gewonnen hat, bei der es um ein Mädchen, geht die aber eigentlich ein Junge ist. Da wird gezeigt, welche Schritte die Person unternimmt, um eine Geschlechtsangleichung zu unternehmen und auch das Umfeld, als die Eltern, Freunde und Bekannte, aufzuklären und die Reaktionen darauf. Das fand ich gut, aber leider ein bisschen zu kurz. Ich mochte den Zeichenstil, der war passend und es war nett erklärt, nicht so missionarisch.

Und Batgirl?

Das ist ja ein Batgirl-Neustart, bei dem Batgirl mit neuem Kostüm in Burnside lebt und agiert. Das wurde ziemlich gelobt letztes Jahr und soll erzählerisch moderner sein. Also Batgirl macht Selfies und lädt die dann auf soziale Medien. Und auch der Zeichenstil ist eher cartooniger, ein bisschen jugendlicher. Geht für mich in so eine Young Adult Richtung. Fand ich ganz spannend. Bin noch nicht ganz durch, aber das könnte einen interessanten Weg gehen, auch für andere Superheldinnen.

Das sind ja doch zwei sehr unterschiedliche Titel, auf der einen Seite eine deutsche Kleinproduktion und auf der anderen Seite so ein Mainstreamcomic. Sind deine Vorlieben in so einem breiten Spektrum aufgefächert? Gibt es auch da auch Grenzen oder Genres, die du gar nicht liest?

Ich hab da schon Vorlieben, wie bei jedem. Aber im Großen und Ganzen versuche ich doch allem einmal eine Chance zu geben. Oder anders gesagt: Ich gucke eher nach Themen. Ich lese gerne Science-Fiction und wenn mich da ein Thema interessiert, ist mir egal von welchem Autor, Zeichner oder Verlag, ob es ein westlicher Comic ist oder ein Manga ist. Wenn mich das Thema interessiert, lese ich das. Oder eben bei so etwas wie „Nenn mich Kai“, bei dem es um das Thema Transgender geht. Da dachte ich mir auch „Oh, das klingt spannend!“. Vielleicht schau ich vorher kurz rein, wie die Zeichnungen sind, denn die muss ich auch mögen. Manchmal schrecken mich die Zeichnungen schon so ab, dass ich dann nicht an die Geschichte rankomme. Aber ich würde niemals sagen „Ich lese aus Prinzip keine Manga oder Alben Comics!“ sondern einfach gucken ob es mich inhaltlich interessiert und die Zeichnungen passen. Eine Zeichnung von Temel

Apropos Zeichnungen: Wie bist du denn zum Zeichnen gekommen?

Mit dem Zeichnen hab ich eigentlich angefangen, weil ich schon immer Geschichten erzählen wollte. Ich hatte schon als kleines Kind das Bedürfnis, Geschichten zu erzählen. Deswegen hab ich mir schon sehr früh selbst das Tippen am Computer beigebracht. Damals war das ja noch eine Ausnahme. Ich wollte die ganzen Geschichten in meinem Kopf loswerden, aber ich hab dann schnell gemerkt, dass mir das Schreiben alleine nicht reicht. Deswegen war der nächste logische Schritt die Text-Bild-Kombination Comics.

Ganz am Anfang waren das nur Einzelblätter, die ich als Achtklässler gemacht hab. Und dann wird man mit der Übung einfach immer professioneller. Wenn ich die Geschichten in Comicform umgesetzt habe, hatte ich danach auch das Gefühl, die Geschichte ist tatsächlich erzählt. Mit der Zeit und je besser man wird, entwickelt man natürlich auch Spaß am Zeichnen selbst. Aber der Auslöser war definitiv der Drang zu erzählen. Ich hab dann auch immer Geschichten gezeichnet, nie einzelne Bilder wie Einhörner oder Prinzessinnen oder so was. Es war immer in einem narrativen Kontext, egal wie banal die Geschichte vielleicht war. Eine Zeichnung von Temel

Das zeigt sich ja auch in deinen bisherigen Veröffentlichungen. Einige Zeichner*Innen haben ja das Problem, dass sie super zeichnen können, aber keine guten Geschichten erzählen. Das ist bei dir anders. Aber du meintest, du hast einfach angefangen zu zeichnen. Wie ist das mit Techniken, bist du komplett Autodidaktin?

Ja, wie so viele, bin ich das tatsächlich. Klar, ich hab später auch etwas kreatives studiert, Medien-Design, aber das geht doch in eine leicht andere Richtung. Das liegt auch daran, dass ich auf eine eher abschreckende Umgebung gestoßen bin. Da gab es mehrere Personen, die nicht wollten, dass ich die Idee weiterverfolge, Comics zu zeichnen. In der Schule im Kunstunterricht hab ich sogar Kunst abgewählt. Mein Lehrer hielt mich zwar für unglaublich talentiert, aber wollte, dass ich unbedingt etwas anderes mache als Comics. Er hat mir dann absichtlich eine Note schlechter gegeben, nur um mich in eine andere Richtung zu treiben. Er wollte, dass ich traditionelle Kunst mache. Damit kam ich nicht zurecht. Ich wollte eben Geschichten erzählen und Comics war das, was ich machen wollte. Auch später, wenn ich mich versucht hab weiterzubilden, bin ich immer auf Abneigung gestoßen. Es hieß immer „mach doch was anderes!“. Sehr geholfen haben mir an der Uni aber die Seminare zum Schreiben-Lernen, also Geschichten, Drehbücher und so etwas. Das ist auch autodidaktisch weitaus schwieriger zu erlernen. Man muss ja niemandem verraten, dass es für Comics ist. Zeichnen hab ich mir dann nebenbei beigebracht.

Das macht auf mich den Eindruck, als musstest du dich schämen, zu sagen „Ich zeichne Comics“. Hast du das Gefühl, dass es heute anders ist? Hat sich da in der Akzeptanz gegenüber dem Medium was getan?

Das ist schwierig allgemein zu beurteilen. Damals wie heute ist es stark davon abhängig, welche Menschen man trifft. Gerade in der Schule, wenn du einen aufgeschlossenen Lehrer hast, der offen ist für viele Dinge, dann unterstützt er dich auch und gibt dir Tipps. Ich hab auch von vielen guten Kunstdozenten gehört, die auch Comics als Abschlussarbeiten zulassen. Das gibt es auch! Ob sich grundsätzlich etwas verbessert hat … Comics haben auf jeden Fall für viele immer noch einen schlechten Beigeschmack. Gerade für ältere Generationen ist es glaube ich einfach schwierig zu begreifen, dass Comics auch ernsthafte Literatur sein können. Viele denken bei Comics nur an Peng, Bumm, Zack, Micky Maus und das alles. Das ist schwierig aus den Köpfen weg zu bekommen. Wenn ausgerechnet diese Leute an den entsprechenden Stellen sitzen, ist das Mist. Vielleicht wird sich das jetzt weiter ändern mit mehr Graphic Novels und derartigem, aber es ist noch ein weiter Weg.

Ja, ich glaube auch, dass da noch viel Luft nach oben ist. Wenn ich mir so vorstelle, man sitzt so in einer größeren Gruppe beim Abendessen und stellt sich so ein bisschen vor. Die erste sagt dann so „Ich bin Ingenieurin“ und die zweite „Ich bin Anwältin“ und dann kommt man selbst und sagt „Ich zeichne Comics“ und alle gucken entsetzt, eine Gabel fällt runter.

Ha, ja, die Erfahrung hab ich tatsächlich schon öfter gemacht. Da kommt dann irgendwann immer die Frage „Wie zeichnet man denn Comics heute?“. Da kann ich mir auch nicht verkneifen zu sagen „Mit der Hand!“ Man muss echt geduldig sein und den Leuten immer wieder erklären, wie das so ist mit diesen Comics und dass das ernsthafte Literatur sein kann. Aber es ist schwierig und langwierig und erklären ist das eine, begreifen ist das andere. Das braucht noch einige Generationen Zeit.

Wir haben ja jetzt in den letzten Jahren durchaus eine höhere Aufmerksamkeit auf das Medium. Sei es jetzt durch die gestiegene Anzahl an Abschlussarbeiten oder dass größere Tageszeitungen immer mehr auch in ihrem Feuilleton über Comics schreiben. Nun wurde auch im Berliner Kulturausschuss über Comics und mögliche Förderung diskutiert. Da ist nichts Großes zu erwarten, aber der Fakt, dass überhaupt darüber diskutiert wird auf politischer Ebene ist schon ein Schritt. Es tut sich also schon etwas. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das ausschließlich eine Generationssache ist oder ob wir von der Nische innerhalb der Szene mehr in die breite Gesellschaft reindrängen muss. Ich glaube wir müssen da auch aktiv etwas dafür tun. Sonst lesen die meisten doch weiterhin nur Unterhaltungscomics. Die haben ja ihre Berechtigung und ihren Stellenwert. Aber das breite Spektrum an Comicliteratur wird sich nicht von selbst verbreiten. Daher bin ich da noch unschlüssig, wie viel da vorwärts geht. Aber ich sehe die stärkere Aufmerksamkeit, gerade auch auf die deutsche Szene, mit Hoffnung.

Ich denke mir außerdem dass deutsche Comics auch ein Problem mit der Präsentation haben. Ich finde ich es schade, dass wenn du nach einem Comic suchst, nicht wie bei Büchern das Sortiment nach Themen und Genres unterteilt ist. Wenn du in einen Laden gehst oder online suchst, suchst du beispielsweise nach „Thriller“ und bekommst 1000 Treffer. Wenn du eingibst „Comics Thriller“ bekommst du wenig sinnvolles. Das ist in den Bücherläden leider genauso. Die Auswahl ist immer noch gering und die Sortierung furchtbar. Oft gibt es mittlerweile eine Graphic Novel Ecke, was aber auch meist Kraut und Rüben ist. Denn Graphic Novel ist ja ein Format, kein Thema oder Genre. Wie soll eine unbedarfte Person denn finden, was ihr gefällt? Wenn ich nach einem Comic Thriller suchen will, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll? Ohne Sortierung nach Thema finde ich mich doch gar nicht zurecht. Bei Büchern wird das doch auch gemacht. Ich denke, da wäre es schön und sehr hilfreich, wenn sich etwas ändert. Dann würden auch Außenstehende direkt sehen, dass es mehr gibt als Comic, Manga und Graphic Novel. Dann würde sich auch die Wahrnehmung ändern.

Ein Foto von Temel

Da schlagen wir auch direkt den Bogen zu den Comicbuchläden. Zunächst gibt es viel, viel weniger reine Comicbuchläden als Buchläden. Das Argument „dann geh doch in einen Comicbuchladen“ zieht da also nicht. Darüber hinaus schrecken die Läden, die es gibt, vielleicht auch ab, weil sie als Nerdspace gelten?

Manchmal hab ich schon den Eindruck. Es ist nicht mehr ganz so schlimm wie früher, als man sich als Frau da gar nicht hintrauen konnte. Aber ich stelle da schon immer noch einen Widerwillen fest, auch immer noch bei Frauen. Das geht mir manchmal selbst noch so. Gerade als eher kleine weibliche Person fühle ich mich in manchen Läden etwas verloren. Aber es ist nicht mehr eine anrüchige, völlig unangenehme Atmosphäre. Und es ist hier natürlich auch so, dass es von Laden zu Laden riesige Unterschiede gibt. Manche geben sich da echt Mühe, machen eine wöchentlich wechselnde Auslage. Andere verlassen sich auf ihren Umsatz mit Superheldencomics und haben ihre Stammkundschaft dafür. Da werden die jeweiligen Neuerscheinungen rausgestellt und dann wird sich nicht weiter gekümmert. Wenn du da als außenstehender Besucher hinkommst, fühlt man sich eben ausgeschlossen, fehl am Platz und nicht als Zielgruppe. Was ich auch nicht verstehe, dass sehr viele Websites von Comicläden uralt sind. Also wirklich uralt, mit Frames und so! Heutzutage schaut sich doch jeder erstmal im Internet den Laden an bevor man hingeht und wenn das dann nach 1993 aussieht, schreckt das auch wieder viele ab. Dieses Altbackene haben leider auch viele noch in ihren Läden, wenn ich mir so die Werbung oder die Schaufenstergestaltung ansehe.

Wie war das bei dir, hattest du einen Comicladen in den du immer gehen konntest?

Ja, ich hab in Düsseldorf gewohnt bevor ich nach Köln gezogen bin. Da war ein Laden, den hab ich auch immer regelmäßig besucht. Das war auch eines der besseren Beispiele, zwar ein bisschen chaotisch, aber ingesamt ganz gut. Der hat dann auch so ein bisschen übergreifend Zeichenmaterial verkauft. Außerdem hab ich immer die Spiele Messe/Comic Action in Essen besucht, die auch einen Bereich für Comics hat, früher größer heute etwas kleiner. Dort hab ich mich dann mit Comics eingedeckt, auch mal ein paar englischsprachige Sachen gefunden und die dann auch weiterverfolgt. Ich bin nicht der Typ, der alle Läden abklappert, weil ich auch die ganzen Superheldenserien nicht verfolge. Dazu fehlt mir einfach die Zeit. Aber ich gucke immer durch, was es so gibt. Manche Comicläden sind nicht so schön, deswegen geh ich dann meistens zu einem festen, den ich ganz schön finde. Der in Düsseldorf hieß C.O.M. – Comics und in Köln gehe ich häufig zu Pin-Up. Die Comicläden in Berlin sind auch sehr schön.

Ja, wir sind hier in Berlin ziemlich verwöhnt. Jetzt kann aber nicht jede*r nach Berlin zum Comics einkaufen fahren. Da hilft mittlerweile auch ein großer Internethändler. Das könnte ja auch dazu beitragen, dass mehr Leute Zugang zu Comics bekommen. Deine Comics „Wohlstand“ und „No Borders“ gibt es da auch. Wie bewertest du das denn?

Ob meine Comics dort vertrieben werden entscheidet der Verlag, Epsilon. Ich bin damit schon einverstanden. Es kaufen einfach viele gern und oft dort und noch einen Comic dazu zu kaufen ist dann einfacher und bequem. Ich selbst kaufe Comics und Brettspiele aber nicht so gerne dort. Bei solchen Sachen denke ich mir, ist es schon besser regionale Läden zu unterstützen und dann geh ich auch gern den Weg dort hin. Außer wenn es so last-minute-Geschenke sind.

Wie ist das bei von Macherseite, merkst du etwas von den Onlineverkäufen?

Ja, ich habe schon den Eindruck, dass sich dadurch mehr Leute meine Comics kaufen. Die Bequemlichkeit ist schon ein großer Vorteil.

Lass uns noch ein wenig über das Medium Comic allgemein sprechen. Wenn du unterwegs bist, als Zeichnerin, wie nimmst du die Szene so wahr? Was hat sich da vielleicht verändert?

Ich denke, da hat sich in den letzten Jahren schon einiges verbessert. Beim letzten Comic Salon in Erlangen hatte ich das Gefühl, dass nicht nur Nerds und alteingesessene Sammler dort sind, sondern viel mehr auch junges Publikum. Auch bei kleineren Messen, finde ich schon, dass die jungen Erwachsenen, neben den obligatorischen Comicsammlern, mittlerweile das Hauptpublikum stellen. Und die lesen auch anderes als „Sammlercomics“. Dadurch verschiebt sich das Angebot auch ein bisschen, mehr Graphic Novel, mehr Manga. Der Markt wird sozusagen jünger. Also da öffnet sich das Ganze schon. Trotzdem gibt es immer noch die dummen Kommentare, gerade für mich als kleine, weibliche Zeichnerin. Interessanterweise wird Frauen auch oft gar nicht zugetraut, dass sie zeichnen. Als ich bei No Borders alleine auf der Intercomic am Stand saß, wurde ich immer wieder gefragt warum der Zeichner nicht anwesend sei. Auf die Idee, dass ich das gezeichnet habe, ist irgendwie keiner gekommen. Oder so Sprüche wie „Wow, eine Frau, die zeichnen kann und auch noch gut aussieht. Das ist ja echt viel für eine Frau“. Das sind eher Ausnahmefälle, aber es gibt sie noch. Das ist nicht schön. Aber das Messepublikum ist zumindest keine alteingeschworene Fan-Gemeinde mehr, die elitär für sich bleiben will. Auszug aus einem Webcomic von Temel

Und wie ist auf Kollegenseite? Die deutsche Comicszene ist immer noch sehr männlich, auch wenn sich in den letzten fünf Jahren getan hat.

Ja, durch die Webcomics ist da viel gekommen. Viele Frauen haben gesehen, dass sie dadurch ihre Comics der Welt präsentieren können. Die Community Animexx, die eher für japanische Comickultur steht, wurde schon früh vor allem von Frauen genutzt. Und heute stelle ich fest, dass viele die vor fünf Jahren dort ihre ersten Sachen veröffentlicht haben, aber in der geschützten Community geblieben sind, heute ihren eigenen Webcomic haben. Oder auf Messen sind und ihren eigenen Stand haben. Vielleicht war es bei manchen Frauen leider auch die vermeintliche technische Hürde, die verhindert hat komplett eigene Webseiten zu haben, merkte ich früher eine Zeitlang auch bei mir selbst. Aber auch da tut sich ja mittlerweile einiges. Viel mehr Frauen gehen in den IT-Bereich. Früher hieß es oft „Internet ist Männersache“ und heute wissen wir: Das ist Blödsinn. Und diese Erkenntnis wird glücklicherweise zu immer mehr Frauen in „Männerberufen“ führen und auch so was wie diese technische Hürde von Webcomics herabsetzen.

Technik spielt bei No Borders auch eine entscheidende Rolle. Ohne Internet keine Zeitreisen. Lass uns also noch ein bisschen über deinen Comic reden. Wie war denn der Entstehungsprozess für dich aus Zeichnerinnensicht? Wie bist du da vorgegangen?

Das zentrale, das immer im Vordergrund stand bei No Borders, war das Überwachungsthema. In der Urfassung ging es noch mehr um China und die dort sehr straff organisierte Zensur, die Vertuschung und die Überwachung des Internets. Um das Ganze flüssiger zu erzählen, haben wir dann eine Science Fiction Story herum gewoben. Außerdem haben wir die verschiedenen Zeitebenen eingebaut, um zu zeigen, dass diese Totalüberwachung an einem bestimmten Zeitpunkt noch zu verhindern gewesen wäre bzw. zu verhindern ist. Das war uns sehr wichtig.

Zeichnerisch arbeite ich traditionell. Viele tendieren dazu gerade Science Fiction Geschichten mit härteren Farben und einer härteren Technik am Computer darzustellen. Ich hab bewusst mehr Aquarell benutzt, also ein traditionelles Medium. Es sind ein paar Computergrafiken drin, ich hab das ein bisschen gemixt. Aber ich wollte es traditionell halten, auch um zu zeigen, dass es geht. Wahrscheinlich bin ich da ein wenig stur und mach es so wie es mir am besten gefällt. Meine Technik hat auf jeden Fall die Möglichkeit, die Stärke in Bildern rüberzubringen. Ich benutze ja auch starke Farben, manche würden sagen, es ist kunterbunt.

Auf jeden Fall bunter als „Wohlstand“! Wie war denn euer kreativer Schaffensprozess?

Die Grundidee war komplett fertig bevor ich überhaupt angefangen habe, irgendetwas zu zeichnen. Das lag auch an der komplexen Story mit den Zeitebenen. Deswegen war der Plot fertig bevor ich angefangen habe. Auch die Seitenaufteilung war schon fertig. Das ist auch wichtig, damit ich beim Zeichnen nicht feststelle, oh, da bräuchte ich jetzt doch mehr Seiten als gedacht. Mit dem feinen Skript, also dem detaillierten Drehbuch, waren wir so halb fertig bevor ich mit den Zeichnungen angefangen habe. Manche Wörter oder Formulierungen ändert man dann auch tatsächlich noch auf die letzte Sekunde. Wenn ich über den Dialog zusammen mit den Bildern noch einmal drüber lese, fallen mir ab und zu ganz andere Dinge ein. Wir waren da aber schon sehr diszipliniert, so dass es nicht so häufig vorkam.

Da du ja auch alles selber kolorierst. Wie machst du das? Alles auf einmal oder eine Seite komplett?

Ich habe da meistens in Schüben von 8 bis 10 Seiten gearbeitet. Oft Szenen, die inhaltlich zusammengehören. Also erst vorgezeichnet, dann getuscht und dann koloriert. Alles auf einmal zu tuschen oder zu kolorieren finde ich krass und zu viel. Finde ich auch langweilig. Ich hab ja nicht immer Lust auf Tuschen oder Kolorieren. Wenn ich dann zehn Seiten koloriert hab, kann ich wieder vorzeichnen. Wie ich Lust habe.

Wie viel Mitspracherecht hatte euer Verlag Epsilon?

Wir hatten fast 100 Prozent Freiheit. Das lange, ausführliche Skript war abgestimmt mit dem Verlag und ich habe Zwischenstände der Zeichnungen hingeschickt. Mir ist auch immer wichtig, dass ich bei meinen Sachen das letzte Wort habe. Wenn ein Verlag ohne Rücksprache eigenhändig etwas ändert, ein Wort, einen Satz, das wäre richtig schlimm für mich. Wir versuchen ja auch den Charakteren eine gewisse Sprache zu geben. Jill soll immer etwas schüchterner und gehemmter rüberkommen. Und da ist ein Wort oder Satz ganz wichtig um den Charakter nicht zu verfälschen. Also Änderungen sollten immer abgesprochen werden.

Da dir deine eigenen Werke so wichtig sind und nahe stehen, würdest du fremde Ideen und Skripte überhaupt umsetzen?

Bei meinem Job als Illustratorin akzeptiere ich das, aber bei meinen abendfüllenden Projekten kann ich das nicht wirklich. Dazu bin ich zu sehr auch Autorin und nicht nur Zeichnerin. Das gibt es ja. Zeichnerinnen, die keine Geschichten erzählen wollen oder können. Mir ist es eben wichtig meine Geschichten zu erzählen. Ich will es nicht völlig ausschließen, aber dann müsste mich eine fremde Geschichte schon sehr, sehr begeistern. Zeichnen alleine macht natürlich schon Spaß, aber das Geschichten erzählen ist mir am wichtigsten.

Wenn wir uns deine Geschichten anschauen, sieht man schnell, dass du dich gesellschaftskritischen Themen widmest. Woher kommt das oder anders wie kommst du zu den Themen?

Gerade bei „Wohlstand“ hatte ich das Bedürfnis, Missstände, die mir das ganze Leben schon aufgefallen sind, zusammenzufassen. Das berühmte ‘sich und seinem Ärger mal Luft machen’. Ich hatte das Gefühl alle gesellschaftlichen Bewegungen und Strömungen gehen nur noch in die Richtung ‘Leistungsgesellschaft’, wer nichts leistet der hat weniger oder kein Recht zu leben als andere. Seien es Hartz IV Gesetze oder die Verkürzung der Schulzeit. Zu der Zeit als ‘Wohlstand’ entstand, fühlte es sich so an wäre nur darauf der Blick gerichtet, wer am meisten arbeitet. Und dass ebendiese mehr Recht haben gut oder überhaupt zu leben. Andere hätten da vielleicht einen wütenden Blogeintrag geschrieben oder einen Film gedreht und mein Medium ist eben der Comic. Auch um zu zeigen, was die Auswirkungen sein könnten. Das sind teilweise drastische Szenen und Bilder. Das wurde dann ziemlich düster, dabei war das insgesamt eher ein positiver Prozess. Ich wollte ja andere darauf aufmerksam machen.

Düster ist „Wohlstand“ definitiv.

Ja, aber ich hab beim Erschaffen nicht monatelang missmutig darüber gehangen und mit strengem Gesicht die Seiten hingezeichnet. Das hat schon auch Spaß gemacht. Aber das Pessimistische sollte eben ein Weckruf sein ‘Leute, macht die Augen auf’. Für mich war es dann auch sehr befreiend, als das Comic fertig war. Auch weil dadurch meine Gedanken und Gefühle manifestiert wurden und noch da sind wenn ich nicht mehr da bin, um etwas dazu zu sagen.

Das Cover von Wohlstand

Wie lief die Zusammenarbeit bei „Wohlstand“ mit dem Verlag Epsilon?

Ich bin mit dem Comic auf den Comic Salon Erlangen und hab ihn mehreren Verlagen präsentiert. Viele haben sich jedoch gegen das Albenformat ausgesprochen. Das war mir auch gar nicht klar beim Machen, dass das Format ein Problem sein könnte. Einige sagten tatsächlich, die gleiche Geschichte in einem kleineren Format würden sie sofort nehmen. Das lag auch an dem aufkommenden Graphic-Novel-Erfolg. Epsilon hatte damit aber kein Problem und fand die Story gut. Nach dem Salon hab ich denen das pdf geschickt und dann kam einige Zeit später die Zusage.

Durchaus überraschend. Was ich so von Vertriebler und Sales-Menschen höre, heißt es da immer ‘Ernste Stoffe verkaufen sich nicht so gut“.

Das ist schon ein Problem. Ernsthafte Stoffe haben es schwer gegenüber den Funnies und Cartoons. Das erlebe ich auch selbst immer wieder. Wenn ich heitere Strips für etwa Twitter mache, dann kommen die super gut an und werden viel geklickt und geteilt. Ernste Strips werden deutlich seltener geteilt. Bei den ‘Spektrallichtern’, meinem Webcomic, habe ich das zum Beispiel auch gemerkt. Der ist auch eher nachdenklich im Gegensatz zum dem was ich davor gemacht habe, ‘Aus dem Leben eines Hausmeisters’. Das merke ich dann an Klickzahlen und Rückmeldungen sofort. Es ist auch ein Problem für mich als Zeichnerin, weil ich dann dazu tendiere, eher lustige Sachen zu machen, weil sie mehr gelesen werden. Aber man darf sich da nicht verführen lassen. Mir würde das auf Dauer auch nichts geben, wenn ich gar keine ernsthaften Geschichten mehr erzählen würden. In ‘No Borders’ haben wir ja versucht, das ernste mit kleinen Anspielungen aufzuheitern.

Cover des Spektrallichter Webcomics

Diese Hommage an die Geek- und Nerdkultur war also von Anfang geplant für ‘No Borders’, um dem Ganzen ein wenig von der Gravitas zu nehmen?

Ja, genau. So dass man es auf zwei Arten lesen kann. Du kannst es auch ohne den gesellschaftskritischen Kommentar als unterhaltsame Zeitreisegeschichte lesen. Am schönsten finde ich natürlich, wenn man beides wahrnimmt.

Lass uns noch etwas auf die Zeitreisen im Comic eingehen. Wie hast du vom Zeichenaspekt her die Herausforderung angepackt, dass die Leser*Innen optisch erkennen, in welcher Zeit die Story gerade spielt?

Ich hab das über die allgemeine Farbgebung gelöst. Nicht nur, was die Zeitebene angeht, auch wenn bestimmte Personen miteinander interagieren. Zum Beispiel wenn Jill und Ho Zhing miteinander sprechen hat alles immer eine bläulich-grünliche Färbung, während die Szenen mit Kat deutlich heller sind, weil sie im Sonnenlicht spielen. Da habe ich dann mit mehr realistischen Farben und weniger mit Erscheinungsfarben gearbeitet. Und ich hab jedem Charakter eine Farbe für ihre Textboxen zugewiesen, weil sie sich ja auch als Erzähler*In abwechseln. Das war mir schon wichtig, dass man die Optik als Hilfe bekommt, wo und wann man sich gerade befindet. Ich sehe mich da ein wenig in der Tradition von David Lynch Filmen, der ja sehr viel mit Farbsymbolik macht. Außerdem macht er sehr vielschichtige Stories. Bei mir ist dann zum Beispiel eine Alptraumszene komplett in Rot. Ich benutze Farbe also nicht nur wie sie ist, sondern wie der Charakter den Moment gerade empfindet.

Gab es beim Zeichnen eine Sache, die für dich besonders schwierig umzusetzen war?

Die Frisur von Jill! Die auf jeder Seite neu zu kolorieren war schon anstrengend.

Da hast du dir mit den Regenbogenfarben auch keinen Gefallen getan!

Hehe, nein aber jetzt bin ich ja fertig. Zwischendurch war das aber wirklich etwas anspruchsvoll, weil man da ja bei Aquarell bei jeder Farbe wechseln muss. Am Computer hast du das Problem mit dem Pinselauswaschen nicht. Ich hab dann auf jeder Seite erstmal alle Strähnen von einer Farbe gemacht. Das war aber definitiv eine Herausforderung. Und davon abgesehen, war es vor allem die Länge. 160 Seiten in Vollfarbe, das ist schon hart. Besonders bei Szenen, die ich sehr gleich koloriert habe. Wenn du seitenweise immer dieselben Farben malst, hast du irgendwann auch keine Lust mehr darauf. Aber es muss sein. Da muss ich dann eben durch.

Du hast eben schon David Lynch genannt. Gibt es sonst noch Vorbilder, Inspirationen?

Zeichnerisch bin ich ein großer Fan von Enrico Marini und Jean-Pierre Gibrat. Das sind immer noch die zwei, mich sehr beeinflusst haben. Marini arbeitet auch viel mit Tusche und Aquarellfarben. Gibrat zeichnet einfach toll, sehr ausdrucksstark und emotional mitreißend. Also nicht einfach nur zeichnerisch gut, er schafft es auch mit den Zeichnungen an die Leserschaft herankommen. Zum Beispiel durch Nahaufnahmen von den Gesichtern. So dass man eine emotionale Ebene schafft, mit der man die Leserschaft erreichen kann. Abseits vom Zeichnen habe ich ja schon David Lynch genannt. Wie der an Geschichten herangeht und diese erzählt finde ich ganz toll. Wenn ich Filme von dem öfter gucke und immer wieder neue Bedeutungsebenen entdecken kann. Haruki Murakami ist definitiv auch ein Einfluss. Insbesondere seine Kurzgeschichten. Auch hier, die Art zu erzählen. Und manchmal hat er ganz absurde Dialoge, die sind ein Gewinn, der sehr lange bleibt. Und Neil Gaiman, gerade die Sandman-Geschichten, aber auch seine Romane. Gaiman hat auch immer eine zweite Lesart in seinen Geschichten. Das sind so die wichtigsten.

Aktuell hast du jetzt gerade „Teer“ am Laufen. Da geht es um Depression? Wie kamst du dazu?

Ich selbst habe zwar nicht mit Depressionen zu kämpfen – klar ich habe auch mal richtig schlechte Tage, aber das will ich nicht mit den Erfahrungen vergleichen, die andere mit dieser Krankheit haben – ich kenne aber viele, die diese Krankheit haben. Da weiß ich, wie sehr sie selbst und ihre Verhältnisse zu anderen Menschen darunter leiden. Und leider hört man bei Depression leider immer noch häufig ‘das ist ja keine richtige Krankheit’. Es gibt auch immer noch Artikel, zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit von Ronja von Rönne in der Welt, der den Tenor hatte ‘Stellt euch nicht so an’ oder ‘ihr versteckt euch hinter der Depression, um nicht arbeiten zu müssen’. Also extrem abwertend. Und mit ‘Teer’ wollte ich auf künstlerischem Wege gegensteuern und zeigen, dass man sich Depressionen nicht aussucht. Dass es so etwas ist wie ein böser Geist, der einen heimsucht, den man auch nicht los wird und der vieles zerstört. Der geht auch nicht weg mit ein bisschen Ablenkung durch Musik oder so. Das ist eine Krankheit und diese muss man ernst nehmen und behandeln. Ein Auszug aus Teer

Geht „Teer“ länger oder ist das eher eine kurze Sache?

Das ist eigentlich mit den fünf Teilen abgeschlossen. Ich wollte aber noch einmal etwas in die Richtung machen. Ist aber auf jeden Fall gut angekommen. Ich hab da positives Feedback von Betroffenen bekommen. Viele haben auch die Anspielung auf Poes „The Raven“ erkannt. Einige haben mir auch gesagt, dass der Comic ganz wichtig ist und dazu beiträgt die Krankheit ernst zu nehmen.

Lass uns zum Abschluss noch ein wenig in Zukunft schauen. Gibt es einen Comic, den du schon lange machen willst, aber noch nicht konntest bisher?

Der Fakt, dass ich es schon geschafft habe, Comics zu machen und rauszubringen, ist definitiv schon ein erreichtes Ziel. Gerade weil mir es von vielen Seiten immer wieder schlecht geredet wurde. Ich mache genau das, was ich immer machen wollte und es klappt! Aber ich arbeite natürlich schon an etwas Neuem, will aber noch nicht zu viel verraten. Nur soviel: Es wird etwas, das ich so noch nicht gemacht habe und tatsächlich schon seit längerem machen wollte. „Wohlstand“ und „No Borders“ waren ja beides Science-Fiction Stoffe. Das nächste wird eher in die Thriller-Richtung gehen und in der heutigen und „realen“ Welt spielen.

Das Cover von Anders

Ein bisschen ging ja dein Beitrag zur „Anders“-Anthologie in diese Richtung. Bist du denn dieses Jahr noch auf Veranstaltungen unterwegs?

Ich bin wahrscheinlich auf der Comic Action in Essen im Oktober und auf der Intercomic in Köln im November. Ich möchte aber auch Zeit in ein anderes Projekt stecken: Eine oder mehrere Anleitungen zum Thema „Wie schreibe ich einen Comic?“. Man findet ja sehr viel Hilfe in Sachen Zeichnen aber wenig zum Thema Schreiben. Ich will die Anleitung zum Comicscripten schreiben, die ich selber gern lesen würde.

Was würdest du denn einem absoluten Einsteiger empfehlen? Hast du einen Geheimtipp?

Nutzt diesen einen tollen Bleistift von … nein, im Ernst, wenn ihr Probleme beim Schreiben von Comics habt, könnt ihr euch sehr an Film- und Serien-How-Tos orientieren. Da gibt es einiges an guter Literatur. Das hat mir sehr geholfen.

Vielen Dank dafür und vielen, vielen Dank für deine Zeit!

Gerne, gerne!

Weitere Informationen:

Interview Temel & Michael Barck zu No Borders

Offizielle Website von Temel/

Offizielle No Borders Website

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